Executive Summary:
Die vier wesentlichen Änderungen sind
- Synchronisierung von Patentverletzungs- und -nichtigkeitsverfahren verbessert*
- Patent- und gebrauchsmusterrechtlicher Unterlassungsansprüche in Ausnahmefällen beschränkt**
- Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen anzuwenden**
- Frist zum Eintritt in die nationale Phase aus einer PCT-Anmeldung in Deutschland von 30 auf 31 Monate verlängert*
* Inkrafttreten am 1. Mai 2022
** am 18. August 2021 in Kraft getreten
Detailliert:
Seit der letzten großen Reform des gewerblichen Rechtsschutzes sind mehr als 10 Jahre vergangen. Nach wie vor ist Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich ein beliebter Standort im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes – als vorteilhaft gelten insbesondere die zügigen Gerichtsverfahren, die gute Planbarkeit und die vergleichsweise geringen Verfahrenskosten sowie die fundierte und auch international richtungsweisende Rechtsprechung. Um diesen Standortvorteil auch zukünftig gewährleisten zu können, hat der Gesetzgeber überprüft, ob die geltenden gesetzlichen Regelungen noch den Anforderungen entsprechen, die aktuell an einen effektiven und ausgewogenen Schutz von geistigem Eigentum gestellt werden. In diesem Zuge wurden beziehungsweise werden insbesondere die obengenannten Änderungen 1. bis 4. umgesetzt. Die gesetzliche Grundlage dafür ist das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts (PatModG2) vom 10. August 2021 mit dem u.a. das Patentgesetz (PatG; siehe PatModG2, Art. 1), das Gesetz über internationale Patentübereinkommen (IntPatÜbkG; siehe PatModG2, Art. 2) und das Gebrauchsmustergesetz (GebrMG; siehe PatModG2, Art. 3) geändert werden beziehungsweise wurden.
1. Verbesserte Synchronisierung von Patentverletzungs- und -nichtigkeitsverfahren*
Über Verletzung einerseits und Rechtsbestand eines Patents andererseits wird in Deutschland aufgrund des Trennungsprinzips grundsätzlich von unterschiedlichen Gerichten entschieden – die Verletzung erstinstanzlich von Landgerichten mit spezialisierten Patentstreitkammern und der Rechtsbestand erstinstanzlich vom Bundespatentgericht. Andererseits ist in den meisten Fällen der Rechtsbestand des Patents natürlich auch für das Verletzungsverfahren relevant. Sofern eine Nichtigkeitsklage erhoben wurde, entscheidet über den Bestand eines Patents jedoch das Bundespatentgericht – wo sich aufgrund personeller Engpässe Nichtigkeitsverfahren oft über mehrere Jahre hinziehen.
Die hinsichtlich der Patentverletzung zuständige Zivilkammer sieht sich dann in der unbefriedigenden Lage, über die Rechtsbeständigkeit eines Patents selbst befinden zu müssen oder aber gem. § 148 ZPO das Verletzungsverfahren aufgrund Vorgreiflichkeit auszusetzen. Sollte das Landgericht eigens über den Rechtsbestand des vermeintlich verletzten Patents befinden, kann dies jedoch in Bezug auf dasselbe Patent zu widersprüchlichen Entscheidungen bei den Landgerichten und beim Bundespatentgericht führen. Beides – Aussetzung des Patentstreitverfahrens aufgrund Vorgreiflichkeit und dass das Landgericht eigens über den Rechtsbestand des vermeintlich verletzten Patents befindet – wird nach wie vor möglich sein, nach dem Willen des Gesetzgebers aber weniger Anwendung finden.
Hierfür wurden die §§ 82 und 83 PatG um Regelungen hinsichtlich Schriftsatzfristen ergänzt, um zu erreichen, dass das Bundespatentgericht in Bezug auf den Rechtsbestand des vermeintlich verletzten Patents innerhalb von 6 Monaten einen qualifizierten Hinweis zu seiner vorläufigen Auffassung erlässt. Dieser soll dem Landgericht, das über die Verletzung des Patents zu befinden hat, von Amts wegen übermittelt werden (siehe Art. 1 Nr. 31 a) PatModG2). Wenngleich dies lediglich als Sollvorschrift normiert wurde, ist zu erwarten, dass damit dem Verletzungsgericht die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des Nichtigkeitsverfahrens erleichtert wird.
Die praktischen Auswirkungen dieser neuen Regelungen bleiben abzuwarten, wenngleich vorsichtiger Optimismus angebracht zu sein scheint, sofern die personellen Kapazitäten des Bundespatentgerichts erhöht werden, um den erwarteten Mehraufwand bewältigen zu können.
2. Beschränkung von Patent- und gebrauchsmusterrechtlichen Unterlassungsansprüchen in Ausnahmefällen**
In den § 139 Abs. 1 PatG und § 24 Abs. 1 GebrMG ist nun auch gesetzlich normiert – wie bereits vom Bundesgerichtshof 2016 in seiner Entscheidung „Wärmetauscher“ grundsätzlich entschieden – dass eine Schutzrechtverletzung nicht zwingend einen Unterlassungsanspruch entstehen lässt (siehe Art. 1 Nr. 36 und Art. 3 Nr. 9 PatModG2). Dieser ist ausgeschlossen,
≫ … soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. ≪
Eine solche Unverhältnismäßigkeit scheint beispielsweise dann zu bejahen zu sein, wenn Kleinstteile eines komplexen Produkts schutzrechtsverletzend sind, eine entsprechende Produktionsumstellung jedoch mit Kosten hinsichtlich beispielsweise Neuentwicklung und Produktionspausierung einhergehen würde, die den Wert der Kleinstteile deutlich übersteigen.
Wird ein solcher Unterlassungsanspruch beschränkt beziehungsweise ausgeschlossen, ist
≫ … dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren.≪
Davon unberührt bleiben Schadensersatzansprüche gem. § 139 Abs. 2 PatG beziehungsweise § 24 Abs. 2 GebrMG.
Momentan ist davon auszugehen, dass eine Beschränkung beziehungsweise ein Ausschluss des Unterlassungsanspruchs nur höchst selten vorgenommen wird, denn dies ist nur aufgrund von besonderen Umständen im Einzelfall möglich und stellt damit eine absolute Ausnahme dar.
3. Anwendung des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen**
Insbesondere hinsichtlich der Verteidigung in einem Patent- oder Gebrauchsmusterverletzungsverfahren muss der vermeintliche Verletzer mitunter abwägen, wie substantiiert er in Bezug auf technische Aspekte seines vermeintlich verletzenden Produkts beziehungsweise Verfahrens vorträgt und gegebenenfalls Details beschreibt, die er unter anderen Umständen aufgrund ihres Geschäftsgeheimnischarakters nicht veröffentlichen würde.
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine Art Schutzraum geschaffen, bei dem gem. § 145a PatG beziehungsweise § 26a GebrMG in Patent- beziehungsweise Gebrauchsmusterstreitsachen die §§ 16 bis 20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) entsprechend anzuwenden sind (siehe Art. 1 Nr. 38 und Art. 3 Nr. 11 PatModG2). Diese ermöglichen dem Gericht u.a., Vorkehrungen zu treffen, im Verfahren vorgetragene Informationen als geheimhaltungsbedürftig einzustufen und die Parteien in diesem Zusammenhang auch über das Patent- beziehungsweise Gebrauchsmusterstreitverfahren hinaus strafbewehrt zur Geheimhaltung zu verpflichten.
Inwiefern von dieser Möglichkeit in der Praxis Gebrauch gemacht wird, ist nur bedingt abzuschätzen, da beispielsweise der jeweilige Gegner zur Gewähr seines rechtlichen Gehörs nicht vollständig ausgeschlossen werden kann. Jedoch kann natürlich der Kreis der Wissenden reduziert werden, indem teilweise die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen wird. Sind die geheimhaltungsbedürftigen Informationen einmal als solche eingestuft, stehen dem Informierenden nun umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung, sicherzustellen, dass diese von den Informierten auch als solche behandelt werden, was gegenüber der Vergangenheit eine deutliche Verbesserung darstellt.
4. Verlängerung der Frist zum Eintritt in die deutsche nationale Phase aus einer PCT-Anmeldung von 30 auf 31 Monate*
Für PCT-Anmeldungen mit einem Prioritätstag ab dem 01. November 2019 gilt nun gem. § 4 des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen (IntPatÜbkG) eine Frist von 31 Monaten für den Eintritt in die deutsche nationale Phase (siehe Art. 2 Nr. 1 PatModG2). Die frühere Frist in diesem Zusammenhang betrug 30 Monaten, sodass Anmelder nun einen Monat mehr Zeit haben, ihre PCT-Anmeldung in Deutschland zu nationalisieren.
* Inkrafttreten am 1. Mai 2022
** am 18. August 2021 in Kraft getreten